Aus der Kulturgeschichte geplaudert:

Vom einstigen Nischwitz zum heutigen Oranienbaum

Kennen Sie Nischwitz? Nein?

Aber der Alte Dessauer wird Ihnen zumindest vom Hörensagen bekannt sein. Seine Mutter, Henriette Catharina von Oranien, verwandelte Nischwitz in Oranienbaum.

1179 wird Nischwitz erstmals erwähnt - als Besitz des Klosters Nienburg. Um 1500 liegt es wüst, und 1645 zeugt ein Kirchenbuch davon, daß Fürstin Agnes hier für sich ein "fürstliches Haus", umgeben von Wällen und Gräben, errichten ließ - dazu ein Vorwerk, Wohnung für Untertanen und ein Bethaus. Nach ihrem Tod 1650 stagniert die Entwicklung des neuerstandenen Nischwitz. Das ändert sich, als 1659 Erbprinz Johann Georg die Prinzessin Henriette Catharina von Oranien in den Niederlanden heiratet. Ein Jahr zuvor war er aus schwedischen in brandenburgisch-preußische Dienste getreten und begründete so eine hundertjährige militärische Tradition des Hauses Anhalt, aus der sechs Feldmarschälle hervorgingen.

Henriette Catharina, um die der englische König vergeblich geworben hatte, war eine Enkelin Wilhelms von Oranien, des berühmten Führers der niederländischen Freiheitskampfes. Unter ihrem Vater, dem Generalstatthalter Friedrich Heinrich, erlebte die Niederlande ihren größten kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung. Da Deutschland gleichzeitig durch den Dreißigjährigen Krieg verwüstet wurde, erlangte die Heirat Henriette Catharinas und ihrer drei Schwestern mit deutschen Fürsten eine ganz besondere Bedeutung: Sie werden zu einer Quelle holländischen Einflusses auf Landwirtschaft, Hafen- und Deichbau, auf Stadtarchitektur und Malerei in Deutschland. Auch ließen alle vier Schwestern Schlösser mit Oranien-Namen in ihrer neuen Heimat errichten. Luise Henriette, die älteste, wurde Gemahlin des Großen Kurfürsten in Berlin und Stammutter der preußischen Könige. Oranienburg verdankt ihr seine Entstehung. Schloß Oranienhof in Kreuznach geht auf die jüngste Schwester Maria zurück; es existiert nicht mehr. Albertina Agnes hatte einen nassauischen Verwandten geheiratet, wurde aber früh Witwe. 32 Jahre lang war sie danach Regentin ihres Landes. Sie ließ nicht nur die Stadt Vietz erweitern und Schloß Oranienstein erbauen, sondern veranlaßte auch die Errichtung von Schloß Oranjewoud in Friesland. Ihr Sohn schloß 1683 in Dessau die Ehe mit seiner Kusine, der Tochter Henriette Catharinas. Der Sohn aus dieser Ehe wiederum setzte nach dem Aussterben der oranischen Hauptlinie das Haus Oranien-Nassau in den Niederlanden fort. Damit hat das heutige Königshaus der Niederlande eine seiner Wurzeln in Dessau-Oranienbaum.

Doch kehren wir zur Henriette Catharina zurück. Als Johann Georg II. 1660 die Herrschaft in Anhalt-Dessau antritt, schenkt er seiner Frau u.a. Nischwitz. Henriette Catharina läßt zunächst einige Wohnhäuser bauen. 1661 wird der Friedhof eingerichtet, so daß die Toten nicht mehr in ein benachbartes Dorf transportiert werden mußten. Eine Glashütte entsteht 1669, und 1673 taucht dann im Wörlitzer Kirchenbuch erstmals der Name Oranienbaum auf. Zehn Jahre später geht Henriette Catharina daran, einen repräsentativen Sommersitz zu errichten und Oranienbaum nach einheitlichem Plan neu anzulegen. Dafür gewinnt sie den niederländischen, in brandenburgischen Dienste stehenden Baumeister Cornelis Ryckwaert, der einen idealen barocken Stadtgrundriß, ein regelmäßiges, rechtwinkliges Straßennetz mit zentralem quadratischen Marktplatz, ein dreiflügeliches Schloß und die etwa 28 ha große Parkanlage in holländischem Stil konzipiert. Im gleichen Jahre 1683 hatte Ryckwaert den Grundstein für die Trinitatiskirche in Zerbst gelegt und zwei Jahre zuvor den Bau des Schlosses dort begonnen. Auch in Dessau wurden wichtige Bauten nach seinem Entwurf ausgeführt. Die neue Stadt erfährt die vielfältige Förderung durch die Stadtherrin: 1693 bekommt Oranienbaum ein Brauhaus; Marktprivilegien und Tabakanpflanzungen helfen der Wirtschaft. Das Stadtrecht aber gewährt die Oranierin ihrer Gründung nich. Als ihr Gemahl 1693 stirbt, übernimmt Henriette Catharina für fünf Jahre die Regentschaft für ihren Sohn Leopold (der spätere "Alte Dessauer"). Nach dem Abschluß dieser verantwortungsvollen Tätigkeit kann sie 1699 das von ihr gestiftete Oranienbaumer Witwenhaus einweihen. Am 4. November stirbt die verdienstvolle Gründerin Oranienbaums.

Leopold I. setzt zwischen 1714 und 1719 den Ausbau der Stadt fort. Er entwässert den Wörlitzer Winkel durch ein Grabensystem und legt auf dem gewonnenen Land zahlreiche neue Ortschaften an. Gegen den Elbschaden schafft er Wälle nach holländischem Vorbild. Oranienbaum erhält eine Tuchmanufaktur. Seine große, noch zu Henriette Catharinas Lebenszeit begonnene ovale reformierte Kirche wird 1712 geweiht. Um 1759 folgt ihr ein kleines, achteckiges lutherischen Gotteshaus.

Auf der Grundlage der Herrschaft des Alten Dessauers errichtet dann sein Enkel Leopold III. Friedrich Franz das für ganz Deutschland vorbildliche Dessau-Wörlitzer Reformwerk mit moderner Pädagogik und aufgeklärter Politik, Gartenreich, Klassizismus und Neugotik. In Oranienbaum - Ausgangspunkt für die Jagden des Reformfürsten - werden einige Schloßräume klassizistisch umgestaltet. Nach englischen und französischen Vorbildern entsteht in einem Teil des Barockparks ein chinoiser Garten mit Pagode und Teehaus - ein sehr seltenes Beispiel einer solchen Anlage aus dem 18. Jahrhundert.
(Quelle: Dr. Hartmut Ross, Oranienbaum)

Ein Besuch Oranienbaums führt Sie zu niederländischem Barock in der noch immer geschlossenen barocken Schloß-, Park- und Stadtanlage, zur Chinamode um 1800, zur eindrucksvollen Stadtkirche und auf den 1996 völlig restaurierten, repräsentativen Marktplatz. Nach einem Besuch im sehr informativen Museum, das sich die Schloßgebäude mit dem Anhaltischen Landesarchiv teilt, erwartet Sie eine leistungsfähige Gastronomie.

Bernhard Hagedorn
Möhlau, den 14.07.00


Kulturgeschichte


Stand: 11.10.2000
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