Aus der Kulturgeschichte geplaudert:

Cornet Christian Friedrich von Kahlbutz

Ein alter Herr auf der Spur seiner Erinnerungen: Da gab es doch früher noch einen hohen Schaftstiefel? Und lag der da nicht auf Spänen, Eichenspänen gewiß? Und wo ist das Gedicht, das er vor Jahrzehnten hier gedruckt vorgefunden und irgendwann verloren hatte? Wartet mal - den Anfang, den kriegt er noch hin: Dort liegt er in der Sakristei/ Lanz und Stiefel stehn dabei..., und das Ende: Drum betet für die arme Seel'/ des von Kahlbutz in Kampehl. Gott, sagt die Kundige, das ist es ja, man könnte soviel machen hier, man müßte. Und dem Kahlebutz ist nun wirklich immer wieder übel mitgespielt worden, und es ist praktisch ein Extrawunder auf das Wunder obendrauf, daß er immer noch so unglaublich gut aussieht. Jetzt lassen wir uns die Geschichte erstmal im Originalton reinlaufen. Halt! Besichtigt Ritter Kahlbutz, das biologische Rätsel, über 300 Jahre alt, bis heute wissenschaftlich ungelöst.

Die Kundige: "Die Mumie vom Ritter Kahlbutz ist fast dreihundert Jahre alt. Er war zwölf Jahre verheiratet und hatte elf Kinder. Außerdem hatte er das Recht der ersten Nacht, und so sprach man noch von dreißig unehelichen Kindern. Kahlbutz war einssiebzig groß und wog etwa siebzig Kilogramm. Heute wiegt die Mumie noch zehn Kilogramm. Als vierundzwanzigjähriger Fähnrich machte er die Schlacht bei Fehrbellin gegen die Schweden mit und wurde am linken Knie verwundet. Diese kleine helle Einkerbung auf der linken Kniescheibe ist auch heute noch zu sehen. Und auch die beiden Kanonenkugeln am Fußende des Sarges sind aus dieser Schlacht. 1690 erschlug Kahlbutz den Schäfer aus unserem Nachbarort Bückwitz. Dieser Schäfer hatte eine Braut, die der Kahlbutz sehr begehrte. Da sie sich ihm versagte, erschlug er den Schäfer aus Rache auf einer Gutswiese. Gesehen hatte diesen Totschlag niemand, doch alle hier im Dorf wußten, daß nur Kahlbutz der Mörder gewesen war. Die Braut des Schäfers diente auf dem Rittergut. Sie klagte ihren Herrn des Mordes an, und dann kam es zu einem Prozeß. Zur damaligen Zeit war es möglich, daß sich Feudalherren vor Gericht durch einen Reinigungseid befreien konnten. Diesen Eid leistete Ritter Kahlbutz. Er soll gesagt haben, wenn er der Mörder sei, dann wolle Gott, daß sein Körper nie verwese. 1783 starb die Familie aus. Zweiundneunzig Jahre nach dem Tod von Kahlbutz wurde diese Gruft noch einmal geöffnet, und dabei stellte man fest, daß dieser Leichnam nicht verwest war. Aus Kirchenbucheintragungen entnahm man, daß es sich bei dieser Mumie um die des Christian Friedrich von Kahlebutz handelte. 1806 waren hier im Ort Franzosen einquartiert. Ein Soldat holte sich den Kahlbutz auf die Straße und stellte ihn als Schildwache auf. Daher geschah es, daß er mit dem Finger das Loch in den rechten Oberschenkel drückte. 1895 kam Professor Rudolf Virchow und untersuchte diesen Kahlbutz. Daher ist das Loch an der Brustseite. Er stellte fest, daß alle inneren Organe noch enthalten und nur eingetrocknet waren. Er hat dann eine Leberprobe entnommen, um festzustellen, ob Kahlbutz Gift, Arsen oder sonstige chemische Stoffe zu sich genommen hatte, die die Mumifizierung bewirkt hätten. Da hat man nichts festgestellt. Und auch die Untersuchungen, die von Professor Sauerbruch 1930 angestellt wurden, haben ergeben, daß er nicht einbalsamiert wurde. 1913 war hier in Kampehl eine große Bauernhochzeit, da holte man den Kahlbutz aus der Gruft und legt ihn zum Schabernack ins Brautbett. 1936, während der Olympiade in Berlin, waren hier sehr viele Ausländer zu Besuch. Da boten schon damals Amerikaner für den Kahlbutz eine viertel Million Dollar und Japaner einhunderttausend Reichsmark. Dann wurde diese Gruft von einem Hamburger Professor 1940 auf ihren Blei-, Radium- und Salpetergehalt untersucht. Da hat man auch nichts festgestellt. Das war auch unwahrscheinlich, denn dann wären auch die anderen Leichen, die man zur damaligen Zeit mit ihm begraben hatte, nicht verwest gewesen. Neben seinem Kopf sehen Sie dann noch die Samtkappe, die er aufhatte, als man ihn fand. Der Doppelsarg ist auch noch original. Der innere Sarg ist aus Tannenholz und der äußere aus Eiche. In der Ecke steht der Deckel. Daneben die Lanze... Dann können Sie noch Haare auf dem Kopf der Mumie sehen. Auch die Zähne, die Fingernägel und die Zehennägel sind noch gut erhalten geblieben. Das war die Geschichte von dem Ritter Kahlbutz."

Also nicht ganz. Denn richtig Ruhe hat er bis heute nicht gefunden. Es ist noch nicht lange her, da lag er offen da. Und Besucher schmierten sich an die Sargränder. Und der olle Kundige, der von früher, der gern einen trank, verkaufte den Schaft der Ritterstiefel in kleinsten Streifen, und hob schon mal, wenn den Damen so richtig anders war, gegen eine kleine Handsalbe das Viledatüchlein, das über des Ritters Scham gebreitet, an und ließ Blicke werfen. Es ist alles da, kichert die Kundige. Aber lüften tut sie's heute nicht, so sehr Frau T. auch barmt und mit den Nägeln am Sarg kratzt. Und nach dieser Wende versuchte der Bürgermeister von Neustadt (an der Dosse) in der kurz aufflammenden Goldgräberstimmung die Attraktion für seinen Ort zu requirieren, ließ heimlich ein Spritzenhaus herrichten, besorgte Seile, einen Traktor, und in einer "Nacht und Nebel-Aktion" sollte mit Hilfe von willenlosen ABM-Kräften Kahlebutz entführt werden. Der Angriff wurde von wachsamen Kampehlern abgeschlagen. Der Ritter kann in seiner Gruft, die am alten Wehrkirchlein klebt, verbleiben. Seitdem spricht man hier gelegentlich davon, daß jemand "über Mumien geht".

Frau T., die manchmal einen etwas abartig frivolen Geschmack offenbart, hat kaum Augen für die Merkwürdigkeiten dieses Landstrichs, der auch jetzt im grimmen Vorfrost blattlos seine Schönheit offenbart. Waren wir, durch Ribbeck kommend, erst von einer allgemeinen Birnenhaftigkeit der Gastronomie verwöhnt worden, so steht plötzlich bei Stölln mitten auf der Wiese eine riesige Iljuschin von Interflug. Leicht erheben sich zwei Auffaltungen, an denen Lilienthal übte, und im Dorf, im "Zum 1. Flieger", lag er vor hundert Jahren, zum Tode gestürzt, aushauchend. Aber Frau T. hat nur, phantastisch erhitzt durch die offene Frage, den Kahlebutz im Sinn: Wie zierlich er sei. Wie edel geformt der Schädel. Wie anrührend der Bewuchs von Haupt und Kinn. Die Zähne des keinesfalls röchelnd aufgeklappten Maules geradezu appetitlich. Die Hände so schlank und eindringlich gefaltet. Die Beine gestreckt, die Waden durchaus noch ansehnlich modelliert und erst die Füßchen! Ja, und mit all dem hat sie wahrlich recht. Auch wenn ich ständig das blöde Gefühl habe, als hätte da jemand vorzüglich mit Gremlinmasse gearbeitet.

Bernhard Hagedorn
Möhlau, den 14.07.00


Kulturgeschichte


Stand: 11.10.2000
document copyright © Bernhard Hagedorn